REA

Eigentlich wollte ich mich ja schon aus dem Staub machen, weil ich auf der medizinischen Diagnostik nur vom einen Ort zum andern schlich, um festzustellen, dass nichts Spannendes mehr passierte. Doch plötzlich ging die Lifttüre auf und ein ganzer Tross von Menschen kam heraus. Mittendrin ein Schragen, worauf eine regungslose Person lag und eine Person in weiss, die dieser Person auf dem Bauch sass und rhythmisch auf der Brust drückte, während die anderen das Bett sorgsam in Richtung Herzkatheterlabor schoben. Herzstillstand. Reanimation. Wiederbelebung. Adrenalin pur. Einen kurzen Moment fragte ich mich, ob es nun voyeuristisch ist, wenn ich mich dem Tross einfach anhänge. Aber wie soll ich sonst lernen, wie eine Reanimation abläuft? So stellte ich mich hinter die Glaswand im Herzkatheterlabor und schaute dem Treiben zu: Wie Anästhesisten die Beatmung über den im Mund eingeführten Schlauch kontrollierten und immer wieder Blut absaugten (die durch die Kompressionen zerdrückten Rippen führen zu Lungenverletzungen), wie MTRA alles für einen Herzkathetereinsatz vorbereiteten und die Patientin möglichst schnell steril abdeckten. Wie der Kardiologe sich steril anzog, die Arterie punktierte und sofort begann, sich zum Herzen vorzuarbeiten. Wie der andere Kardiologe während laufender Reanimation das Herz mittels Ultraschall untersuchte. Wie sich die Leute abwechselten im Thoraxkompressionen ausüben. Alles ging Hand in Hand. Plötzlich war da wieder Puls. Aber eine von drei Herzkranzgefässen war komplett verschlossen. Der Kardiologe tat sein Bestes mit Stents und Ballonen, um das Gefäss wieder zu eröffnen. Doch plötzlich stellte die Patientin wieder ab. Ich zog mir auch den Bleimantel an (für die Herzgefässunteruschung braucht es fast konstante Röntgendurchleuchtung) und stellte mich in die Reihe der Drücker. So konnte ich unter perfekter Supervision in echt reanimieren. Hört sich falsch an, aber in der Medizin muss man irgendwie frech sein, Chancen ergreifen und so tun, als könne man es. Sonst vergibt man sich die besten Chancen zum Lernen. Die Anästhesisten und Kardiologen gaben Feedback zur Reanimation und sagten sofort, wenn man es nicht mehr gut machte. Ausserdem konnte man sich auch ständig auswechseln lassen. Denn, boah, reanimieren ist anstrengend... Vor allem im Bleischurz. Nach zwei Minuten perlte der Schweiss auf meiner Stirn. Ich war froh, dass wir so viele waren und uns regelmässig auswechseln konnten. Plötzlich hatte die Patientin Kammerflimmern, so dass ein elektrischer Schock (Defibrillation) ausgelöst werden konnte. Die Patientin hatte fortan wieder Puls. Der Kardiologe entschied sich, das volle Programm zu machen trotz bereits bekannter schwerer Herzerkrankung der Patientin. So baute er eine Pumpe in die linke Kammer ein, die permanent Blut ansaugt und weiterpumpt, wie es das Herz selbst machen würde. Kostenpunkt 12'000 Franken. Die Patientin hat die Nacht aber leider trotzdem nicht überlebt, über 60 Minuten Reanimation waren wohl doch zu lange. Für mich war es extrem eindrücklich und lehrreich. Ich weiss, es war ein Menschenleben mit einer Geschichte. Und doch muss ich immer so viel wie möglich lernen, denn bereits nächste Woche werde ich wieder neuen Patienten begegnen, die auch eine gute Behandlung wollen. Und ich werde nur besser, wenn ich aus allen Begegnungen möglichst viel lerne. Das bin ich den Patienten irgendwie auch schuldig. Gafferin aus gutem Grund also.

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