Meine vorerst letzte Nachtwoche ist heute zu Ende gegangen! Und in einer Nacht hatte ich ein Rätsel zu lösen... Die Patientin wimmerte nur noch vor sich hin und gab Rückenschmerzen an. In der Tat tat es ihr weh, wenn ich auf die Wirbelsäule drückte. Aber die Patientin konnte mir nicht mehr Auskunft geben, denn sie war auch sehr dement. Und da ist es dann wie mit Kindern: Ich sehe sie leiden, die Ursache dafür muss aber ich ohne weitere Hinweis herausfinden... Ich begann sie von Kopf bis Fuss zu untersuchen. Grosse Sorgen bereitete mir der bereits vorbestehend zwischen den Bauchmuskeln hervorquellende Darm (Hernie), dieser könnte irgendwie eingeklemmt sein. Doch dies schien hier nicht der Fall zu sein, die Darmgeräusche mit dem Stethoskop hörten sich unauffällig an. Einzig der linke Unterbauch schien ihr etwas zu schmerzen. Eine Wärmeflasche und Schmerztropfen halfen nicht. Trotz des Aufwandes holte ich im Untersuchungsraum das monströse Ultraschallgerät. Ich versuchte die Blase darzustellen, wusste aber nicht so recht, ob die aufgrund der Hernie woanders war. Ich fand dann tatsächlich ganz links etwas, das wie die Blase aussah (eigentlich sollte die mittig sein). Ich mass die Blase aus und stellte fest, dass das Gerät mir nicht automatisch das Volumen berechnet. Also zurück zu Dr. Google (Harnblasenvolumen berechnen go), der mir eine Formel lieferte. Nun bekam ich das Volumen in Kubikmilimetern und stand vor der nächsten Aufgabe, dies in Mililiter umzurechnen, was Dr. Google auch wieder souverän tat. Wenn meine Berechnungen also stimmten, hatte die Frau über einen Liter Harn in der Blase. So verordnete ich das Legen eines Katheters. Doch die Nachtwache rief mich an, ob ich mir wirklich sicher sei, die ganze Windel und der Moltex sei nass, überall sei Urin, und überhaupt habe sie erst gerade spontan auf dem Topf Urin gelöst, die Blase sei bestimmt leer! Ich zögerte innerlich: Hatte ich wirklich richtig auf den Ultraschall geschaut? Aber was sollte es sonst sein, wenn nicht die Blase? Und was gab es zu verlieren, der Katheter wäre doch schnell wieder draussen! Trotzdem begann ich schon den Verlegungsbericht zu schreiben, denn ich zweifelte irgendwie auch und weiterhelfen konnten wir ihr ohne Röntgenbild (bei uns nur zu Bürozeiten) nicht. Dann der Anruf: Es seien spontan über 1800ml Urin aus der Blase gelaufen. Und die Patientin sei nun ganz ruhig und entspannt. Was für eine Erleichterung! Meine Messung war also nicht ganz falsch (und doch um 800ml daneben). Der vermutlich grosse Druck im Bauch hatte wahrscheinlich auch den Blasenhals abgedrückt, so dass es den Harn zurückstaute und der Urin, der rausgekommen ist, nur der Überlauf war (Überlaufblase). Rätsel gelöst:) Es sind diese Momente, wo ich meinen Job liebe. Ich wollte ja eigentlich mal Detektivin werden... (gemäss Freundschaftsbucheintrag...)
Stürze im Alter sind leider häufig. Und daran ändert sich auch nichts, wenn die Patienten hospitalisiert sind. Sie stehen auf und wollen nur schnell zum Rollator rübergehen. Und schon finden sie sich auf dem Boden wieder. Als Dienstarzt muss ich jedes Sturzopfer visitieren und untersuchen. So wie letzthin. Sie lag schon wieder zugedeckt im Bett, hatte keine Schmerzen, konnte aber ihr linkes Bein nicht mehr so gut bewegen. Was mir ins Auge fiel: Das linke Bein war kürzer als das rechte. Schlechtes Zeichen, das heisst, wahrscheinlich ist der Schenkelhals gebrochen und eingestaucht. Ich konnte ihr aber auf der Hüfte rumdrücken und auch auf dem Oberschenkel, sie hatte nur wenig Schmerzen. Bei Bewegung waren die Schmerzen ab einem gewissen Punkt dann schon grösser. Mein Verdacht war eine Schenkelhalsfraktur (ja, bei Osteoporose kann dies auch einfach bei einem einfachen Sturz aus Körperhöhe passieren). Wieviel Hoffnung darf ich der Patientin machen? Darf respektive soll ich die Patientin mit der wahrscheinlichsten Diagnose konfrontieren, auch wenn sie noch nicht gesichert ist? Oder soll ich ihr die Hoffnung lassen, dass es vielleicht nicht so schlimm ist? Ich erklärte ihr, dass ich eigentlich gerne ein Bild machen würde, dies bei uns aber nur zu Bürozeiten möglich sei. Wir einigten uns, die Nacht passieren zu lassen und sie versprach mir, nicht mehr selbstständig aufzustehen und überhaupt nur im Rollstuhl. Ich meldete das Röntgen für den nächsten Morgen an, wo sich der Verdacht dann leider bestätigte und die Patientin auf die Orthopädie nach extern verlegt werden musste. Meine eher zurückhaltende Kommunikation hat ihr hoffentlich immerhin noch eine ruhige Nacht voller Schlaf beschert...
Im Moment habe ich quasi nur Nachtdienste. Und da arbeitet man jeweils 7 Nächte à 12 Stunden und hat anschliessend dafür eine Woche frei. Ein Nachtdienst sieht folgendermassen aus: Ich lasse mir die wichtigsten Geschehnisse von dem Tagdienstkollegen übergeben. Ich lese mich in die Problemfälle ein, gehe sie ggf. nochmals visitieren, um mir selbst ein Bild von der Situation zu machen. Teilweise sind dann auch noch Laborergebnisse ausstehend, die über das weitere Procedere entscheiden. Im Kühlschrank wartet ein Nachtessen auf mich, das ich am liebsten auf der Dachterrasse des 3. Stockes einnehme mit Blick auf den Sonnenuntergang. Danach versuche ich mich zu motivieren, Dinge aus dem Studium und medizinisches Wissen aufzufrischen. Währenddessen kann immer das Telefon klingeln mit einem mehr oder weniger akuten Problem. Um 22:30 Uhr ist dann Nachtrapport mit allen Nachtwachen, die mir nochmals allfällige Probleme berichten. Das kann sein, dass jemand neu Schmerzen oder Fieber hat. Zu hohe oder zu tiefe Blutzucker. Oder dass jemand sehr unruhig und verwirrt und allenfalls noch mehr Beruhigungsmedikamente benötigt, um nicht aus dem Bett zu stürzen. Anschliessend klappe ich mein Bett aus dem Schrank und hänge ein "Bitte nicht stören"-Schild an die Türe, damit ich nicht von der Securitas bei ihrem Kontrollgang geweckt werde (ist mir auch schon passiert, peinlichpeinlich...). Und dann schlafe ich. Solange, bis ein Telefon klingelt. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Man weiss es nie. Und doch versuche ich mich immer so hinzulegen, als könne ich die ganze Nacht schlafen. Und habe eine undwennesdochklingeltegaaaal-Einstellung. Und falls man vom Wecker morgens geweckt wird, war es ruhig:) Ich fasse nochmals die Ereignisse der Nacht zusammen und verschicke sie an alle Ärzte im Adullam. An den Tagdienstkollegen übergebe ich noch die wichtigsten to-dos. Und dann geht es ab nach Hause, je nachdem nochmals ein bisschen schlafen oder gleich rein in den Tag:)
Und ah, gestern war ja noch erster August. Da haben die Nachtwachen einige der Patienten und Bewohner auf die Dachterrasse geschoben, es gab Sekt, Rimus, Chips und Läckerli und wir betrachteten das Riehener Feuerwerk. Eine Seniorin meinte: "Stüürgeld, pumm!"...
Schon als ich während dem Studium das erste Mal einen Kittel anziehen musste, war mir überhaupt nicht wohl dabei. Klar, er gehört zu unserem Berufsstand und doch kann ich mich einfach nicht so richtig mit ihm anfreunden. Ich versuche nun auf Spurensuche zu gehen, warum das so ist.
Irgendwie fühle ich mich mit dem Arztkittel immer wie ein Clown. Verkleidet. Das bin nicht ich. Vielleicht bin ich noch nicht ganz in die Ärzterolle hineingewachsen? Hmm. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass dieses Kleidungsstück verstaubte Rollenbilder suggeriert. Es strahlt eine Autorität aus, die ich vielmehr einfach als Person ausstrahlen möchte und nicht durch ein Kleidungsstück hindurch. Der Kittel schreit für mich geradezu: "Schaut her, ich bin Arzt!" Aber das möchte ich mit meinem Auftreten kommunizieren. Die Kommunikation durch dieses Kleidungsstück hindurch wirkt für mich veraltet. Es widerspiegelt für mich die Generation patriarchalischer Ärzte, die keine Widerrede dulden und bestimmt gut wissen, was der Patient wirklich braucht. Es widerspiegelt diese Haltung vom Abgehoben-Sein, vom garantiert nicht mit irgendwelchem anderem medizinischen Personal verwechselt werden zu wollen. Aber das ist mir doch egal. Ich komme sowieso immer ins Zimmer und stelle mich erst mal vor. Und es steht auf meinem Badge. Und dann soll halt der Patient nochmals nach dem Arzt fragen, dann sage ich halt nochmals, dass ich jetzt da vor ihm stehe. Oke, manchmal ist der Kittel sicher auch hilfreich, weil er eben dieses Quäntchen zusätzliche Autorität einfach so von sich aus ausstrahlt, das ist bei eher störrischen Patienten sicher hilfreich. Aber Challenge accepted:)
Und ausserdem: Sieht ein Kittel nicht einfach doof aus? Wie ein Pinguin, der gebleicht wurde. Oder Superman, der nicht fliegen kann. Oder ein Kind, dem die Mutter gesagt hat, du wachst schon noch in den Pulli rein. Ich fühle mich darin so sperrig und undynamisch, das entspricht einfach nicht meinem Naturell. So stopfe ich bisweilen meine benötigten Dinge in meinen Kasak und düse in diesem rum. Und je nach aktuellem Bedarf hängt das Stethoskop um den Hals oder ist ebenfalls in die Tasche gestopft.
(öhm und ja, ich bin gerade am Zähne putzen auf dem Bild:))).