Erzähl-Jam

Es gibt viel zu erzählen. Selber schuld, wenn ich euch so lange nicht mehr geschrieben habe. Und weil es nun zu anstrengend wäre, Dinge zu sortieren, zu reflektieren und zu analysieren, gebe ich diesem Eintrag den Titel Erzähl-Konfitüre. Und weil das nicht so gut tönt, wähle ich das englische Wort Jam dafür. Und so werfe ich alle meine Erlebnisse in Worten auf den Bildschirm wie man Früchte mit dem Zucker in die Pfanne wirft und darauf hofft, dass schlussendlich etwas Essbares oder in dem Fall Lesbares entsteht. Los geht's.

Ich kann viel erzählen: Von Röntgenrapporten mit miesgelaunten Radiologen. Von extrem kollegialer Atmosphäre unter Medizinern (zur Erinnerung: alle Ärzte der inneren Medizin), die so extrem ist, dass man sich gegenseitig kaum mal auf Fehler aufmerksam macht. Von herzigen Omis, die nach Gefässeingriffen plötzlich kollabieren. Von einem Familienvater, dessen Hirn etwas abbekommen hat, was ihn nicht mehr gerade gehen lässt und uns in Verlegenheit bringt, weil wir nicht wissen, was es ist. Von Durchlebten, die einen Alkoholentzug wollen und zu Hause dann aber doch weitertrinken. Von Sterbenden, die dem Tod ins Auge blicken und sich doch jedes Mal bedanken, für das bisschen, was man für sie noch tun kann und tut. Von Söhnen und Töchtern, die ihre Väter und Mütter nicht gehen lassen wollen. Von Menschen, die plötzlich mit einer schweren Krankheit konfrontiert sind. Von alten Menschen, die Angst vor dem Alleinsein haben und trotzdem nicht in ein Altersheim möchten. Von Schmerzgeplagten, die es aber trotzdem noch auf den Raucherbalkon schaffen. Von Sonnenschein im Garten beim Mittagessen. Von verrückten Dermatologen, die einem einen Meter vor den Bildschirm setzen, um das Mikroskopiebild beschreiben zu lassen. Von tausenden Telefonaten mit noch mehr Ärzten, um Berichte anzufordern und Nebendiagnosen zu erfahren. Von Diskussionen unter Ärzten, um den einzelnen Symptomen einen Sinn im Ganzen zu geben. Von Mittagspausen, die nur 8 Minuten gehen und doch für die 32 Raviolis runterschlingen reichen. Vom plötzlich allein verantwortlich für die Station sein, weil die Assistenzärztin einen Arzttermin hat. Von Medizinerkolleginnen, die kollabieren vom langen Rumstehen. Vom Bericht schreiben und Verlauf schreiben und Rezept schreiben und Konsil schreiben und Eintrittsstatus schreiben. Von Faxgeräten bedienen. Von Arterien mehr suchen als finden beim Versuch eine arterielle Blutprobe zu entnehmen. Von Darmgeräuschen in der Lunge hören (Zwerchfellhernie). Vom Erschrecken, wenn man eine Milz tastet, die bis ins Becken reicht. Von Rektaluntersuchungen, die plötzlich Routine werden. Und vor allem: Von Dankbarkeit, dass ich die Rolle des Mediziners und nicht des Patienten haben darf.

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